Das diesmalige Sammlungsobjekt des ersten Quartals im Jahr 2016 ist aus der Victor-Schultze-Sammlung der Theologischen Fakultät. Bei einer „Menas-Ampulle“ handelt es sich um eine Devotionalie im Andenken an den gleichnamigen Heiligen, der um das Jahr 300 sein Martyrium erlitt.
Diese Menas-Ampulle entstand zwischen 560 und 610 nach Christus. Auf den ersten Blick ist die Ampulle nicht als solche zu erkennen, denn es fehlen die typischen Bestandteile antiker Gefäße, wie man sie etwa von Amphoren kennt: der Hals, die Mündung und die beiden Henkel. Dadurch sieht der trommelförmige Bauch mit seinem handlichen 6,5 cm Durchmesser eher wie eine zu kleine Feldflasche aus. Die Ampulle ist mit 2,5cm nicht dick; in ihrem Bauch kann sie nur eine kleine Menge Flüssigkeit aufnehmen. Der Hohlraum entstand durch die Verwendung von Modeln, sogenannte hölzerne Formen. Mit diesen Vorlagen wird das Material, hier ein roter bis grauer Ton, geformt und mit Motiven versehen. Vor dem Brand werden die beiden Hälften der Ampulle zusammengefügt und von Hand geformte Henkel angesetzt.
Die Abbildungen auf den beiden Seiten sind etwas abgerieben, dennoch sind die Motive gut zu erkennen: Auf der Vorderseite steht Menas in einer Tunika zwischen zwei liegenden Kamelen. Einer Legende nach weigerten sich die Kamele, den Leichnam des Heiligen weiter zu transportieren. An dieser Stelle in Ägypten entstand der Wallfahrtsort Abu Mena. Diese Darstellung des Menas als Orans (= Betender) zwischen den Kamelen gibt es auf den Ampullen sehr häufig.
Neben der Heiligendarstellung wurden auch christliche Symbole wie Kreuze oder Inschriften verwendet. Auf der Rückseite befindet sich mittig ein Malteserkreuz. Dieses Kreuz wird von der Inschrift TOY AΓIOY MHNA (= [Wohltat] des heiligen Menas) umschlossen. Den Rand der Rückseite schmückt ein Lorbeerkranz. Durch kleine Veränderungen an den ursprünglichen Formen entstanden viele unterschiedliche Varianten der Motive, über welche sich die Ampullen heute datieren lassen.
Die Ampullen wurden in fabrikmäßiger Massenproduktion hergestellt und in Abu Mena als Devotionalien oder Andenken an die Pilger verkauft. Durch Funde lässt sich deren Verbreitung im gesamten Mittelmeerraum belegen. Im Inneren enthielten sie Schutz- und Heilmittel wie Wasser oder das Öl des heiligen Menas – oder sie wirkten schon allein durch ihre Inschriften und Bilder, denn durch den porösen Ton sind sie für den dauerhaften Transport von Wasser nur bedingt geeignet.
Ein angeklebter Zettel am Rand mit der Aufschrift „Athen 1892“ verweist vermutlich auf den Kauf von Prof. Dr. Victor Schultze (1851 – 1937). Im Jahr 1923 schenkte er die Ampulle der Kirchlich-archäologischen Sammlung, die er gegründet hatte und damals leitete. Insgesamt sammelte er vier solcher kleinen Menas-Ampullen. Diese haben alle einen ähnlichen Zustand und unterscheiden sich äußerlich vor allem durch andere Tonsorten und andere Motivvariationen. Im Jahr 1946, einige Jahre nach seinem Tod, wurde die Sammlung nach Victor Schultze benannt.
Text: Florian Gantner
Literatur:
Nauerth, Claudia; Rosenthal-Heginbottom, Renate: Antike Kleinfunde im Victor-Schultze-Institut der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald. Heidelberg 2001.
Ladstätter, Sabine; Pülz, Andreas: Frühchristliche Ampullen aus der Archäologischen Sammlung des Instituts für Klassische Archäologie in Wien. In: Forum Archaeologiae 21/XII/2001 (http://farch.net). Online im Internet (http://homepage.univie.ac.at/elisabeth.trinkl/forum/forum1201/21menas.htm) [Stand: 17.11.2015].
Reygers, Leonie: Ampulle. In: Reallexikon zur Deutschen Kunstgeschichte, Bd. I (1935), Sp. 657–661 (= Online im Internet (http://www.rdklabor.de/w/?oldid=88726)) [Stand:17.11.2015].
Objektdaten:
Datierung: 560 bis 610 nach Christus
Material: Ton rötlich, Ton graufarben
Maße: Höhe: 7 cm, Durchmesser: 6,5 cm, Dicke: 2,5 cm
Produktionsort: Abu Mena / Ägypten
Inventarnummer: B63
Victor-Schultze-Sammlung der Theologischen Fakultät